Am heutigen Tag, dem 27.01.2023, jährt sich zum 78. Mal die Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee. Hier betrieben die Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1945 systematisch Völkermord an mehr als einer Million Juden und Jüdinnen, Sinti*zze, Roma*nja und vielen weiteren Bevölkerungsgruppen. Auch Zeugen Jehovas, Zwangsarbeiter*innen, Homosexuelle, sogenannte „Asoziale“, politisch Gefangene wie Kommunist*innen und Sozialist*innen, kranke und Behinderte Menschen, sowie Menschen, die Widerstand leisteten, wurden entrechtet, gequält und ermordet. Auschwitz war damit die größte „Todesfabrik“ des nationalsozialistischen Regimes, dem insgesamt über 6 Millionen Juden und Jüdinnen zum Opfer fielen. Seit dem Jahr 1996 gedenkt Deutschland am 27. Januar auch offiziell der Opfer des Nationalsozialismus.
Initiative „!Nie wieder“
„2004 wurde der „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ ins Leben gerufen. Am 27. Januar wurde die Initiative in der Evangelischen Versöhnungskirche, KZ-Gedenkstätte Dachau, gegründet. Die Anregung kam aus Italien. Ein Bündnis aus Einzelpersonen, Fangruppen und Fanprojekten, Vereinen, Verbänden und Institutionen aus dem Fußball gedenkt seitdem der preisgegebenen Familienmitglieder und engagiert sich für eine würdige Gedenkkultur und für ein Stadion ohne Diskriminierung.“ (https://www.niewieder.info/index.htm)
„Jedes Jahr an den Spiel- und Turniertagen um den 27. Januar gedenkt sie den verfolgten, deportierten und ermordeten Menschen. „Nie wieder Auschwitz!“ – das ist der Auftrag und die Bitte der überlebenden Zeitzeug*innen an die „Nachgeborenen“. Als Fußball- und Sportgemeinschaft stellen wir uns dieser Verantwortung.“
Jedes Jahr setzt „!Nie wieder“ ein anderes Thema in den Vordergrund.
„Das diesjährige Kampagnen-Thema ist ein weiterer Appell an die Vereine und Fanszenen: Begebt euch auf die Suche nach Biographien von Frauen im Widerstand im Nationalsozialismus, die einen sportlichen oder lokalen Bezug zu euch haben – und erzählt diese Geschichten.“
(https://www.niewieder.info/aktivieren/pages/Erinnerungstag.htm)
Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
„Bei Frauen im Widerstand denken wir unweigerlich an die KZ-Überlebende Esther Bejarano, die über viele Jahre hinweg die Kampagnen von „!Nie Wieder“ begleitet und inspiriert hat. Ihre Worte sehen wir als Verpflichtung: ,Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.’“ (https://www.niewieder.info/aktivieren/pages/Erinnerungstag.htm)
Über die Geschichte des Nationalsozialismus ist viel erzählt. In der Menge von Fakten und Wissen, die dazu bis heute existiert, bleibt allerdings eine Gruppe sehr unterrepräsentiert: Frauen. In der kollektiven Erinnerung an den Nationalsozialismus spielten Frauen nur eine Nebenrolle. Ihr Handeln und Denken im von Männern dominierten NS-Staat ist zudem wenig erforscht. Bei der Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ist das ähnlich. Stets waren Männer die Aktiven. Aber das ist ein unvollständiges Bild. Deswegen ist es wichtig, die Geschichten von Frauen, die mutig und eigenständig gehandelt haben, zu erzählen. Damit wollen wir zeigen, dass der Anteil von Frauen am Widerstand nicht länger als „kleiner“ oder „passiver“ Widerstand herabgewürdigt wird. Das Widerstandsverständnis hat sich erst mit der Einbeziehung von Frauen um eine humanitäre Dimension erweitert. Der Beitrag von Frauen am Rettungswiderstand während der Shoah war sehr hoch. Widerstand musste nicht immer bewaffnet und gewaltvoll sein. Auch Humanitärer Widerstand, wie Rettung von Menschenleben, Hilfe für Betroffene oder Stärkung des Überlebenswillens gehörten dazu und waren genauso wichtig. Eine Hierarchisierung von Widerstand ist nicht sinnvoll, da alle Handlungen und Tätigkeiten voneinander abhingen und aufeinander aufbauten.
(Entnommen und bearbeitet aus dem Ausstellungskatalog des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945: S.7 und S.51-58)
„Die nationalsozialistischen Verbrechen waren möglich, weil es viele aktive Täter*innen und Unterstützer*innen gab, aber auch, weil so viele Menschen wegschauten. Nur ein sehr kleiner Teil der Deutschen im nationalsozialistischen Regime leistete Widerstand. Unter diesen wenigen Menschen, die Verfolgten geholfen haben und Widerstand leisteten, gab es viele Frauen. Etliche von ihnen wurden von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet. Die meisten ihrer Namen sind heute vergessen. Wir als Fußballfamilie sind in der Pflicht, den Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu gedenken.“
(https://www.niewieder.info/aktivieren/pages/Erinnerungstag.htm)
Container-Gestaltung im Sportpark Dölitz
Den Anstoß für die Idee der Wandgestaltung im Sportpark Dölitz, anlässlich des diesjährigen Erinnerungstages, lieferte das Netzwerktreffen der IVF (Initiative für mehr Gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport Fußball) im Rahmen des Projekts „Ein Verein für alle“ am 07. Dezember 2022. Es fand ein Austausch mit verschiedenen Vereinen statt, wobei der Fokus auf Erinnerungs- und Gedenkarbeit im Breitensport Fußball lag und die oben beschrieben Kampagne „!Nie Wieder“ vorgestellt wurde. (https://ivf-leipzig.org/rueckblick-netzwerktreffen-gedenk-und-erinnerungskultur-im-fussball)
Anlässlich des diesjährigen Mottos „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Haltung zeigen und handeln“ entschieden wir uns Biographien und persönliche Geschichten von drei Frauen aus Leipzig zu recherchieren, die wir nun sichtbar machen wollen.
Biographien von Luise Katholy, Lydia Auguste Johanna Landgraf und Helene Anna Christiane Starke (geb. Lehmann)
Bei der Recherche zu Biographien von Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Leipzig stießen wir auf die „Leipziger Frauenporträts“, ein öffentlich zugängliches Online-Portal der Stadt Leipzig, welches die Lebenswege von historischen Leipzigerinnen unterschiedlicher Herkunft, Profession und Epochen zeigt. (https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/leipziger-frauenportraets/)
Hier gibt es eine eigene Kategorie „Widerstand im NS“, welche fünf Frauen porträtiert. Neben zwei der oben genannten waren dies Karola Bloch (geborene Piotrkowska), Rosemarie Sacke(-Gaudig) und Dr. phil. Maria Karoline Elisabeth Grollmuß (sorbisch Marja Grólmusec). Zudem entdeckten wir die Ausstellung „Nichts war vergeblich – Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ vom Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945. In dieser sind verschiedene Biographien und Lebensläufe von Frauen enthalten. Dabei stießen wir auf eine Person, die unter anderem in Leipzig aktiv war, weswegen wir auch ihr exemplarisch gedenken wollten.
Luise Katholy
1. Februar 1909 (Berlin) – 25.März 1991 (Berlin)
„Aus politisch engagiertem Elternhaus in Berlin kommend steht Luise Katholy dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) nahe, einer kleinen, sehr aktiven Gruppe unabhängiger Sozialisten. Sie arbeitet nach ihrer Lehre zur Schneiderin zunächst im „Landerziehungsheim Walkemühle“ des ISK bei Melsungen. 1928 zieht sie nach Leipzig, um in der Textilindustrie zu arbeiten. Sie nimmt an Gewerkschaftsschulungen des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes teil und wird zur stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaftsjugend, Betriebskassiererin und Vertrauensfrau gewählt. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, wird sie aus ihrem Arbeitsverhältnis entlassen.
Mit Unterstützung der Internationalen Transportarbeiter-Föderation gelingt es dem ISK bereits ab 1933, in Deutschland Flugblätter gegen das Regime zu verteilen. Luise Katholy wird in die illegale Arbeit des ISK eingebunden.
Mit Flugschriften, Streuzetteln und Wandparolen treten sie und ihre Freunde auf vielfältige Weise der nationalsozialistischen Propaganda entgegen. In einigen Städten – auch in Leipzig – starten Mitglieder der Gruppe 1937 eine besondere Aktion: Auf der Standfläche eines Koffers werden große Gummibuchstaben befestigt, die – getränkt mit einer Chemikalie, die unter Lichteinfall zerfällt und anschließend sichtbar wird – die Parole „Nieder mit Hitler“ ergeben. Luise Katholy trägt den Koffer bei Dunkelheit durch Leipzig und stellt ihn immer wieder ab – scheinbar, um auszuruhen, tatsächlich jedoch, um beim Abstellen die Parole auf Straßen und Gehwege zu stempeln.
1937 zerschlägt die Gestapo den ISK in Deutschland. Viele Mitglieder, auch Luise Katholy, werden verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach Ablauf der Haftzeit wird sie sofort wieder in „Schutzhaft“ genommen und in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, aus dem sie im Januar 1943 nach 16 Monaten entlassen wird. Die Gestapo bedrängt sie, als Spitzel zu arbeiten. Sie weigert sich jedoch standhaft. Stärker unter Druck gesetzt, liefert sie schließlich drei Berichte über Stammtischgespräche von SS-Leuten – doch ohne Namen zu nennen.
Durch die jahrelange Haft ist Luise Katholys Gesundheit sehr stark angegriffen. Einer Berufstätigkeit geht sie nach Kriegsende nicht mehr nach, sondern sie widmet sich ihrer Familie.“ (Entnommen aus dem Ausstellungskatalog des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945: S.26f)
Lebenslauf:
1909 1. Februar: Geboren in Berlin
ca. 1927: Übersiedlung nach Melsungen
1928: Umzug nach Leipzig
1930: Arbeiterin in der Textilindustrie
bis 1933: Gewerkschaftsfunktionärin im Deutschen Textilarbeiter-Verband
1934 1. März bis 20. September: Erste Haft in Leipzig
1937 20. Dezember: Erneute Verhaftung in Leipzig, Haft in Berlin
1939 23. Mai: Verurteilung durch das Kammergericht Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 3 Jahren und 6 Monaten „Zuchthaus“
1939 bis 26. Juni 1941: Haftverbüßung im Zuchthaus Waldheim
1941 ab 27. Juni: „Schutzhaft“
1941 10. September bis 19. Januar 1943: Konzentrationslager Ravensbrück
ab 1943: Bekanntschaft mit ihrem späteren Ehemann Alfons Harlinghausen, ebenfalls wegen „Hochverrat“ verurteilt
1946: Eintritt in die SPD
1991 25. März: Gestorben in Berlin
Lydia Auguste Johanna Landgraf
11. Oktober 1908 (Leipzig) – 3. Juni 2012 (Leipzig)
„In den Jahren 1933 bis 1945, als in Deutschland die Nationalsozialisten regierten, fand die körperlich kleine Frau den Mut, aktiv Widerstand zu leisten. Durch [ihre enge Freundin] Regina Boritzer[, die aus jüdischer Familie stammte,] war sie mit dem Juristen Dr. Erich Zeigner (1886-1949) bekannt geworden, der 1921 als sächsischer Justizminister, 1923 als sächsischer Ministerpräsident fungiert hatte und nun an der Bundesschule des Arbeiter-, Turn- und Sport-Bundes in Leipzig arbeitete.
Gemeinsam mit Dr. Zeigner und Pater Aurelius Arkenau (1900-1991) unterstützte Johanna Landgraf politisch Verfolgte und Juden beim Untertauchen und Überleben. Dabei spielte das Dominikanerkloster St. Albertus Magnus im Stadtteil Wahren eine wichtige Rolle, wo Pater Arkenau ab 1942 mehr als 100 Menschen versteckte. Aus dem Kreis der Geretteten wurden namentlich besonders bekannt die Jüdin Käthe Leibel und ihr Sohn Jochen, der Johanna Landgraf 60 Jahre später anlässlich eines Treffens zu ihrem 95. Geburtstag „eine stille Heldin von Leipzig“ nannte. Nach der ersten Aufnahme im Kloster, wo der dreijährige Jochen aus Sicherheitsgründen getauft wurde, versteckte Johanna Landgraf die beiden bei ihr bekannten Familien und Freundinnen in Leipzig und Halle, holte für sie aus Berlin von Pater Arkenau organisierte neue Personalpapiere. Nach dem Krieg unterstützte sie Käthe Leibel bei der Wiedererlangung ihrer wahren Identität (nachzulesen im Buch „Der Brief…“). […]
Bis zu seinem frühen Tod 1949 war Dr. Zeigner der erste Nachkriegsbürgermeister von Leipzig, Johanna Landgraf seine Sekretärin. Danach arbeitete sie im Amt für Verkehrswesen der Stadt Leipzig, ab 1950 – nach dem Abschluss ihres Studiums an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig mit dem Wirtschaftsdiplom – als Verwaltungsleiterin im Dezernat für Volksbildung, später als Kreisreferentin für Jugendhilfe und Heimerziehung. Sie nutzte alle Möglichkeiten der Weiterbildung, schloss 1953 ihr Fernstudium als Unterstufenlehrerin am Institut für Lehrerbildung Altenburg ab, 1958 das Studium der Sonderpädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schon 1953 hatte sie die Verwaltung verlassen und war bis 1968 mit Leidenschaft als Lehrerin an der Hilfsschule West tätig. Hilfsschulen waren Sonderschulen für geistig behinderte oder lernbehinderte Kinder. Nach dem Eintritt in das Rentenalter arbeitete sie dort bis 1972 als Horterzieherin und bis 1988 als Schulsekretärin weiter. Johanna Landgraf liebte es zu wandern und zu reisen. Gern besuchte sie auch die Gewandhauskonzerte.
Anfang der 1980er Jahre zog Johanna Landgraf zur Pflege von Dr. Zeigners Witwe, Annemarie, geb. LeMang, in deren Wohnung Zschochersche Straße 21. Hier hatte Frau Zeigner bis zu ihrem Tod 1982 die originale Wohnungseinrichtung sowie den schriftlichen Nachlass ihres Mannes bewahrt. Diese Aufgabe übernahm nun Johanna Landgraf. Die Räume im Parterre links wurden ab ca. 1984 vom Stadtbezirkskabinett für Kulturarbeit Südwest genutzt, der unsanierte Wohnbereich rechts von Johanna Landgraf. Sie führte Gäste durch das Haus und sorgte mit Charme und Willenskraft dafür, dass das Andenken Erich Zeigners in der Öffentlichkeit präsent und die originale Wohnungseinrichtung im Haus erhalten blieb. Ab 1999 wurde sie dabei unterstützt vom neu gegründeten Erich Zeigner Verein.
Johanna Landgraf verstarb am 3. Juni 2012, mit 103 Jahren, in einem Seniorenheim.
Vier gesellschaftliche Umbrüche hatte sie miterlebt und in allen Verhältnissen Menschlichkeit und Zivilcourage bewiesen.“ (Auszug aus https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/landgraf-lydia-auguste-johanna)
Lebenslauf:
Helene Anna Christiane Starke (geb. Lehmann)
25. April 1896 (Leipzig) – 23. März 1969 (Leipzig)
„Helene Lehmann wurde am 25. April 1896 in Leipzig geboren. […] [Sie] hatte drei Geschwister [und] war die Zweitälteste. Die Eltern tauften die Kinder im evangelisch-lutherischen Glauben. [Im Alter von 33] starb die Mutter an Tuberkulose. […]
In der Nachbarschaft der Eltern begegnete ihr Alfred Starke. Der dreizehn Jahre ältere, verwitwete Mann mit einer 1913 geborenen Tochter wohnte in der Pögnerstraße 6. Seit 1921 arbeitete er in der Expedition des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler und war für die Auslieferung des Börsenblattes zuständig. Starke gehörte in seiner Lebensführung zu einer kleinen gesellschaftlichen Minderheit. Er war Vegetarier, Nichtraucher, trank keinen Alkohol, begeisterte sich für ökologische Landwirtschaft und Naturheilkunde, andere Länder und Kulturen. Am 24. März 1928 heirateten sie. Helene Starke wurde Hausfrau. Am 2. September 1929 wurde die Tochter Hannelore geboren.
Den Machtantritt der Nationalsozialisten beurteilten Helene Starke und ihr Mann kritisch und akzeptierten im Gegensatz zur Bevölkerungsmehrheit die neue Politik nicht. Die NSDAP sahen sie als eine „Elend schaffende Partei“ an. Sie blieben unangepasst, verkehrten weiter mit den jüdischen Familien Spur und Rubin, als persönliche Kontakte zu Juden unerwünscht und schließlich verboten waren. Zu staatlichen Ereignissen wehte nie eine Staatsflagge aus ihrer Wohnung. Das Ehepaar spendete nicht bei den Sammlungen der Nationalsozialisten. Für ihr Handeln nahmen sie persönliche Nachteile in Kauf. Ende 1935 erhielt Alfred Starke vom Börsenverein die Kündigung, „weil er den Gedanken der Betriebsgemeinschaft ablehnte“. Die finanzielle Situation für die Familie wurde immer schwieriger. Helene Starke folgte aber nicht dem Werben der Nationalsozialisten für eine Berufstätigkeit der deutschen Frauen. Sie nähte die Kleidung der Familie. Das Ehepaar besaß einen großen Garten in Machern bei Leipzig. Für den eigenen Bedarf wurde Obst und Gemüse angebaut, einiges auch verkauft.
Auf die Verschärfung der Judenverfolgung reagierte das nichtjüdische Ehepaar mit mehr Zuwendung für die jüdischen Bekannten: Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ 1935 entstanden Freundschaften; nach Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem Verkaufsverbot bestimmter Lebensmittel sowie der minimalen Versorgung mit Brennstoffen für Juden wurden der verwitwete Abo Spur und andere in einem der „Judenhäuser“ von ihnen zusätzlich versorgt. Nachdem im September 1941 das Tragen eines „Judensterns“ angeordnet worden war, konnte Spur nur noch heimlich die Wohnung des Ehepaars aufsuchen. Mit jedem Besuch wuchs die Gefahr, denunziert zu werden. Als im Januar 1942 der erste „Judentransport“ Leipzig verließ, versteckte das Ehepaar Starke Abo Spur mehrere Monate in ihrem Gartengrundstück. Da die Gefahr der Entdeckung zu groß wurde, kehrte Spur nach Leipzig zurück; sein Verschwinden war der Gestapo noch nicht bekannt geworden. Am 14. Februar 1943 war er das letzte Mal in der Wohnung der Freunde. Drei Tage später wurde er nach Berlin gebracht und von dort nach Theresienstadt deportiert, wohin das Ehepaar Starke Lebensmittel-Päckchen sandte. Beim Luftangriff am 6. April 1945 wurde ihre Wohnung in der Pögnerstraße 6 zerstört.
Am 6. Juni 1952 starb Alfred Starke. Da Helene Starke zunächst keine Rente erhielt, arbeitete sie während der Messen bei der Reinigung der Messehäuser.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kontakt zwischen dem Ehepaar Starke und der in die USA emigrierten Familie Rubin wieder zustande gekommen. Es folgten Besuche aus den USA in Leipzig.
Am 23. März 1969 starb Helene Starke. Das Grab auf dem kirchlichen Friedhof in Schönefeld existiert nicht mehr.“ (Auszug aus https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/starke-helene-anna-christiane-geborene-lehmann)
1896 25. April: Geboren in Leipzig
1911: Konfirmation in der Heilig-Kreuz-Kirche
ab 1920: Berufskurs als Weißnäherin
1924: Anstellung in der Fabrik Nebel & Kaufmann
ab 1925: Plätterin bei verschiedenen Firmen
1928 24. März: Heirat mit Alfred Starke
1929 2. September: Tochter Hannelore wird geboren
ab 1939: versorgte sie Abo Spur und andere in einem der „Judenhäuser“
1942 Januar: versteckte Abo Spur in Gartengrundstück
1952 6. Juni: Alfred Starke stirbt
1969 23. März: Gestorben in Leipzig
Diese drei Frauen stehen beispielhaft für alle mutigen Menschen, die ihr Leben riskierten, um sich dem Nationalsozialismus zu widersetzen. Ihnen wollen wir hiermit gedenken und die Erinnerung an sie aufrecht erhalten.
Wir dürfen keinen Schlussstrich unter die Verbrechen und Grausamkeiten des Nationalsozialismus ziehen. Die Erinnerung darf nicht enden, sie muss auch an künftige Generationen weitergegeben werden. Die Generation der Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus stirbt aus – damit auch ihre persönlichen Geschichten.
Um aus „!Nie Wieder“ keine leere Floskel werden zu lassen, müssen wir auch weiterhin die Biographien und Geschichten von Opfern, Betroffenen und Widerstand leistenden Menschen im Nationalsozialismus aufarbeiten und sichtbar machen. Wir tragen Verantwortung für diese Zeit.
Haltung zeigen und Handeln
Auch in unserer Gegenwart sind rechte Gewalt, Antisemitismus und Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus immer noch präsent. Im Sport als Teilbereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens spiegeln sich diese Zustände. Dagegen müssen wir uns stellen, um gemeinsam gesellschaftliche Veränderung, auch im Sport, zu erzielen. Wir können alle einen Beitrag leisten – auf und neben dem Fußballplatz!
Gegen jede Form von Diskriminierung!
Gegen jeden Antisemitismus!
Für eine lebendige Erinnerungskultur!
Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Faschismus!
– Fanszene des Roten Stern Leipzig ´99
Quellen:
https://www.niewieder.info/index.htm
https://www.niewieder.info/aktivieren/pages/Erinnerungstag.htm
https://ivf-leipzig.org/ein-verein-fuer-alle
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/leipziger-frauenportraets/
Nichts war vergeblich – Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (2020): Katalog zur Ausstellung. Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945.